Ab 13. Dezember 2014 ist im Kleist-Museum in Frankfurt/Oder die von Bernd Ballmann initiierte Ausstellung Peter Schlemihl. Die Geschichte eines Buches zu sehen, die anschließend auch an anderen Orten gezeigt werden soll. Vorab veröffentlichen wir hier einen Beitrag des Kurators Bernd Ballmann, der sich mit Frage der Urheberschaft des Nachworts zu einer von A. R. Penck illustrierten Ausgabe befasst.
Im Jahr 1993 erschien im Maximilian Verlag von Sabine Knust in München ein "Schlemihl"
der besonderen Art, nämlich ein "Künstlerbuch mit 9 mehrfarbigen, ganzseitigen Aquatin-
ten sowie 15 einfarbigen Ätzungen von A.R. Penck." (Verlagsprospekt.) Davon wurden 35
Exemplare Normalausgabe und 10 Exemplare Vorzugsausgabe hergestellt. Für die Kassette der Vorzugsausgabe hat der Künstler Penck Papiergüsse angefertigt. Die Kassette
enthält das Buch sowie eine Mappe mit den 9 Aquatinten im Format 42 x 30 cm, auf Zerkall Bütten 300 g, einzeln vom Künstler signiert und nummeriert. Nicht für den Handel bestimmt waren weitere 5 Exemplare in Form der Normalausgabe. Die Aquatinten wurden in
der Radierwerkstatt Zein in Wien gedruckt. Der Buchdruck erfolgte bei Lutz Nessing in
Berlin. Für den gesamten Druck wurde Zerkall Bütten 210 g verwendet. Das Umschlagpapier der Normalausgabe ist von John Gerard handgeschöpft, in dessen Werkstatt auch
die Papiergüsse für den Umschlag der Vorzugsausgabe entstanden.
Man sieht: Höchster Aufwand bei kleinster Auflage. Entsprechend die Preise: 7500 DM für ein Exemplar der Normalausgabe, 18500 DM für ein Exemplar der Vorzugsausgabe. Für den Erwerb des Schlemihl-de-luxe empfahl/empfiehlt sich der Besitz von Schlemihls Geldsäckel.
Noch im selben Jahr 1993 brachte der Steidl Verlag in Göttingen Pencks Künstlerbuch in einer einfachen Ausgabe für den Normalverbraucher heraus, mit einer ersten Auflage im September, einer zweiten Auflage im November 1993. Steidl hat das Buch angereichert mit einem "Nachtrag", einem Essay von zwei Seiten von einem ungenannten Verfasser. Der Aufsatz des Anonymus ist in genialischem Essaychinesisch geschrieben und enthält folgende Fehler: Cunnersdorf (statt Cunersdorf), Schraag (statt Schrag), Pretorius (statt Preetorius), Standarts (statt Standards), Bibliotheka Schlemihliana (statt Bibliotheca Schlemihliana), Phillipp Rat (statt Philipp Rath) und Bresslauer (statt Breslauer). Sabine Knust hat mir brieflich versichert, dass sie mit diesem Nachwort und überhaupt mit der Steidlschen Ausgabe nichts zu tun hatte.
Was verrät uns der Essay über den aus der Deckung heraus schreibenden Verfasser? Der
kurz nach der "Wende" von 1989/90 entstandene Text weist eine Reihe von Wende-Wendungen auf, so gleich am Anfang das Wort "Dreh". Der Essayist hat das Wort:
Wo noch vor einhundert Jahren allen, die sich mit Peter Schlemihls wundersamer Geschichte befaßten, klar schien, der zweite Teil dieser sei die schwächere, etwas hastig zu einem "glücklichen Ende in Einsamkeit" getriebene Stimmlage des Dichters, und also der Schluß, da Held und Geschichte der Unrast hingegeben, einem plötzlich neuen Sinn-Bild dienen, etwas plump, kann heute gerade dieser, nun nicht mehr überraschende Dreh als charakteristisch für das Schicksal einer jeden Generation gelten, die den Wechsel von Weltbildern zumindest leiblich belebt.
Alles klar? Mit dem "Wechsel von Weltbildern" ist wohl die kurz zuvor erfolgte schockhafte Versetzung einer im Staatssozialismus erzogenen Population in eine ungewohnte kapitalistische Realität gemeint. Nur "leiblich belebt" wird die neue Realität von denen, die nicht wendig genug sind, die ruckartige Versetzung auch geistig zu vollziehen; andere sind beweglicher und finden sich rasch zurecht. Wer aber steckt hinter der verklausulierten Sprache dieses "Nachtrags"? Ich wollte es amtlich wissen und fragte den Verleger Steidl in einer höflichen Mail, erhielt aber keine Antwort. Mein Verdacht fällt auf einen Mann, für den der große Dreh der "Sinn-bilder" eine dramatische persönliche Wendung zur Folge hatte: Sascha Anderson. Der Poet vom Prenzlauer Berg wurde 1991 von Wolf Biermann als IMB (Informeller Mitarbeiter mit Feindberührung) der Mielke-Behörde entlarvt; er hatte vor allem Kollegen und Künstlerfreunde für die Stasi bespitzelt. Von 1986 bis 1995 war er Privatsekretär von A. R. Penck, der einige literarische Arbeiten Andersons illustrierte. Da liegt der Gedanke nahe, dass Penck seinem Literaten die Gelegenheit verschaffte, den Steidl-Schlemihl mit einem "Nachtrag" zu versehen.
Man sieht: Höchster Aufwand bei kleinster Auflage. Entsprechend die Preise: 7500 DM für ein Exemplar der Normalausgabe, 18500 DM für ein Exemplar der Vorzugsausgabe. Für den Erwerb des Schlemihl-de-luxe empfahl/empfiehlt sich der Besitz von Schlemihls Geldsäckel.
Noch im selben Jahr 1993 brachte der Steidl Verlag in Göttingen Pencks Künstlerbuch in einer einfachen Ausgabe für den Normalverbraucher heraus, mit einer ersten Auflage im September, einer zweiten Auflage im November 1993. Steidl hat das Buch angereichert mit einem "Nachtrag", einem Essay von zwei Seiten von einem ungenannten Verfasser. Der Aufsatz des Anonymus ist in genialischem Essaychinesisch geschrieben und enthält folgende Fehler: Cunnersdorf (statt Cunersdorf), Schraag (statt Schrag), Pretorius (statt Preetorius), Standarts (statt Standards), Bibliotheka Schlemihliana (statt Bibliotheca Schlemihliana), Phillipp Rat (statt Philipp Rath) und Bresslauer (statt Breslauer). Sabine Knust hat mir brieflich versichert, dass sie mit diesem Nachwort und überhaupt mit der Steidlschen Ausgabe nichts zu tun hatte.
Der Schlemihl-Experte Bernd Ballmann auf dem Weg von Brandenburg nach London, wo er lebt. |
Wo noch vor einhundert Jahren allen, die sich mit Peter Schlemihls wundersamer Geschichte befaßten, klar schien, der zweite Teil dieser sei die schwächere, etwas hastig zu einem "glücklichen Ende in Einsamkeit" getriebene Stimmlage des Dichters, und also der Schluß, da Held und Geschichte der Unrast hingegeben, einem plötzlich neuen Sinn-Bild dienen, etwas plump, kann heute gerade dieser, nun nicht mehr überraschende Dreh als charakteristisch für das Schicksal einer jeden Generation gelten, die den Wechsel von Weltbildern zumindest leiblich belebt.
Alles klar? Mit dem "Wechsel von Weltbildern" ist wohl die kurz zuvor erfolgte schockhafte Versetzung einer im Staatssozialismus erzogenen Population in eine ungewohnte kapitalistische Realität gemeint. Nur "leiblich belebt" wird die neue Realität von denen, die nicht wendig genug sind, die ruckartige Versetzung auch geistig zu vollziehen; andere sind beweglicher und finden sich rasch zurecht. Wer aber steckt hinter der verklausulierten Sprache dieses "Nachtrags"? Ich wollte es amtlich wissen und fragte den Verleger Steidl in einer höflichen Mail, erhielt aber keine Antwort. Mein Verdacht fällt auf einen Mann, für den der große Dreh der "Sinn-bilder" eine dramatische persönliche Wendung zur Folge hatte: Sascha Anderson. Der Poet vom Prenzlauer Berg wurde 1991 von Wolf Biermann als IMB (Informeller Mitarbeiter mit Feindberührung) der Mielke-Behörde entlarvt; er hatte vor allem Kollegen und Künstlerfreunde für die Stasi bespitzelt. Von 1986 bis 1995 war er Privatsekretär von A. R. Penck, der einige literarische Arbeiten Andersons illustrierte. Da liegt der Gedanke nahe, dass Penck seinem Literaten die Gelegenheit verschaffte, den Steidl-Schlemihl mit einem "Nachtrag" zu versehen.
Sascha Anderson, mit der Schriftstellerin Alissa Walser verheiratet, ist ein Schwiegersohn
von Martin Walser und lebt bei Frankfurt am Main. Es wäre nett, Herr Anderson, wenn Sie
uns verraten würden, wer den Schlemihl-Essay zu verantworten hat. Who done it?
Bernd Ballmann (London), 20.11.2014
PS: Ein Hinweis von Michael Bienert. In einem Offenen Brief an Anderson vom 14.11.1991 redet Uwe Kolbe den enttarnten Spitzel so an: "Sascha, mein alter Schlemihl". Schlemihl ist hier wohl ein Synonym für Schluri, Schelm, Filou, Spitzbube. Eine Anspielung auf den "Nachtrag" zum Steidl-Schlemihl kann das jedenfalls nicht sein, denn das Buch erschien (siehe oben) zwei Jahre später.
Bernd Ballmann (London), 20.11.2014
PS: Ein Hinweis von Michael Bienert. In einem Offenen Brief an Anderson vom 14.11.1991 redet Uwe Kolbe den enttarnten Spitzel so an: "Sascha, mein alter Schlemihl". Schlemihl ist hier wohl ein Synonym für Schluri, Schelm, Filou, Spitzbube. Eine Anspielung auf den "Nachtrag" zum Steidl-Schlemihl kann das jedenfalls nicht sein, denn das Buch erschien (siehe oben) zwei Jahre später.
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