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Freitag, 25. März 2022

Nellja Veremej: Fragen an die innere Russin

"Solche wie ich, die nicht in ihrer Muttersprache schreiben, werden oft als Chamisso-Autoren bezeichnet – nach dem Mann, der ein gebürtiger Franzose war und ein deutscher Dichter. Seinerzeit, während der napoleonischen Kriege, war er mit falschem Pass und falschem Akzent am falschen Ort, der aber sein Zuhause war und Berlin hieß. In dieser Zeit entstand ein deutsches Nationalbewusstsein und ein Motor dieser Euphorie war der Kampf gegen Frankreich. Die deutsch-russische Freundschaft wurde gefeiert, alles Französische war verhasst, so dass Chamisso 1813 in Kunersdorf, einem Gutshof in Brandenburg, Zuflucht suchte und fand, um nicht in Berlin Feindseligkeiten als Franzose ausgesetzt zu sein. 

Seinen berühmtesten Text hat Chamisso während des Krieges geschrieben: Sein Schlemihl ist ja in gewissem Sinne eine Frucht des Krieges. Im Schloss seiner Gastgeber, der Familie von Itzenplitz, saß Chamisso im Bibliothekzimmer am offenen Fenster, den Blick auf den schönen Park gerichtet, und schrieb seinen Schlemihl, der dem fremden grauen Mann seinen Schatten verkauft. Geld hat er seitdem im Überfluss, aber keine Ruhe mehr: Er wird durch die Welt getrieben, ,durch frühe Schuld von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen´, wie Chamisso selbst, der in Frankreich zu der von den Revolutionären verhassten Minderheit der Adeligen gehört hatte und dann im preußischen Berlin zu den gehassten Franzosen.

Für seine Leiden wurde Chamisso dann schließlich entlohnt, als Dichter gefeiert und auch als Wissenschaftler, aber erst, als wieder Ruhe eingekehrt war. Und während ich diese Zeile schreibe, zähle auch ich die Stunden und Minuten, bis dieser Krieg zu Ende geht." 

Die Chamisso-Preisträgerin Nellja Veremej, deutschsprachige Autorin mit russischen Wurzeln und Verwandten in der Ukraine, hat über ihre Zerrissenheit in diesen Tagen einen Text im Tagesspiegel veröffentlicht, hier nachzulesen: https://plus.tagesspiegel.de/fragen-an-die-innere-russin-will-ich-auch-ein-bisschen-opfer-sein-433537.html

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