Der Chamisso-Experte Bernd Ballmann in der Graff-Ausstellung |
Schillers Bildnis hingegen erkennt man von weitem, Schulbuchstoff, unendlich oft reproduziert. Der junge Autor lehnt, ganz romantischer Dichterjüngling mit blitzend blauen Augen, sinnlichem Lippenrot und offenem Rüschenkragen, in elegischer Melancholiepose den Kopf auf die Hand. An seinem Bildnis pinselte der vielbeschäftigte Anton Graff ungewöhnlich lange, was am "unruhigen Geist" Schillers lag, wie man kolportierte.
Nicht jeder, der anreiste, um dem gefragten Graff Modell zu sitzen, war hinterher mit dem Resultat zufrieden. Johann Gottfried Herder, den der Künstler in Karlsbad konterfeite, fand sich jedenfalls nicht glücklich getroffen und meinte, er sehe einem italienischen Abbé gleich. Da kann man ihm nicht widersprechen. Ganz daneben ging Graffs Versuch, den Schauspieler Iffland pompös im antikischen Kostüm auf der Bildbühne agieren zu lassen. Bei solch einem Sujet war der Meister der feinen Bildpsychologie und zurückhaltenden Inszenierung nicht in seinem Element. Das Understatement der Aufklärung steht seinen Protagonisten besser zu Gesicht. Den befreundeten Maler und Kupferstecher Chodowiecki lässt Graff, sinnreich, zur Brille greifen: und verweist so auf den scharfen Künstlerblick des Kollegen, der für seine genaue Beoachtung der Zeitgenossen bekannt war. Eine Zeichenmappe, ein lässig gehaltenes Buch, bei den Damen ein hauchdünner Schleier, eine Gitarre oder eine Rose, das reicht dem Porträtisten Graff als Requisit. Seine Hintergründe lässt er meist leer oder im vagen Halbdunkel verschwimmen. Alle Aufmerksamkeit gilt dem Gesicht, als Spiegel eines Individuums.
Ob Bürger oder Aristokrat, Kurfürst oder Steinguthändler: Graff betrachtet jeden mit derselben Aufmerksamkeit. Spannender noch als all die berühmten Geistesgrößen, von denen wir uns heute vor allem durch Graffs Porträtkunst ein lebendiges Bild machen können, sind die privaten Arbeiten Graffs aus den eigenen vier Wänden. Gleich der erste Raum fesselt mit der ungeheuren Präsenz seiner Selbstbildnisse. Das erste, noch ungelenk, malte der 1736 geborene Graff mit 17 Jahren. Eines diente ihm, in Lebensgröße frappierend lebensnah gemalt, als Entreebillet zur Dresdener Hofmalerkarriere. Und seine junge Frau Elisabeth, eine Tochter des Philosophen Johann Georg Sulzer, hat er im Hochzeitsjahr 1771 so frisch und natürlich gemalt, dass sich gleich ein Zwiegespräch unter vier Augen entspinnt, wenn man ihr nähertritt. Sogar eine Spur Erotik bringt der sonst so spröde Graff hinein, indem er ihr tiefes Dekollete von feinem Pelzbesatz umspielen lässt. Von weitem oder nur flüchtig gesehen wirken Graffs zurückhaltend komponierte Bildnisse wenig spektakulär. Er war keiner, der die Kunst mit genialischem Pinselschwung revolutionierte. Sondern ein feinsinniger Beobachter, der seine Mitmenschen, ob Prinz oder Kaufmann, als fühlende, denkende Wesen wahrnahm. Dazu brauchte er keinen großen Gesten.
Wer so wenig auftrumpft, gerät als Künstler leicht in Vergessenheit. Der Schweizer Kokurator der Ausstellung aus der Sammlung Oskar Reinhart in Graffs Geburtsort Winterthur erzählt, dass alle großen Schweizer Museen Graffs Werke in den letzten Jahrzehnten ins Depot verbannten. Erst jetzt holen sie sie langsam wieder hervor.
Noch bis 23. 2. 2014 in der Alten Nationalgalerie Berlin
Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 4. Januar 2014
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