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Montag, 29. November 2010

Chamisso und der Norden

Im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert wandelte sich unter deutschsprachigen Literaten und Wissenschaftlern das Bild vom Norden. Galt die Region früheren Generationen als kalt, barbarisch und unbewohnbar, so versuchten Intellektuelle um 1800 den Norden geographisch wie kulturell neu zu konstruieren und ihn (zumindest teilweise) als positives Gegenmodell zum Süden zu profilieren. An den unterschiedlichen literarischen und wissenschaftlichen Nord-Diskursen beteiligte sich auch Chamisso. Er hatte im Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen die nördlichen Regionen während seiner Weltreise tatsächlich gesehen. Noch bevor Chamisso allerdings als Naturforscher die asiatisch-amerikanische Subarktis in Augenschein nahm und anschließend ausführlich beschrieb, hatte er den Norden bzw. die Polargegend in den Erzählungen Adelberts Fabel und Peter Schlemihl literarisch, d. h. hier phantastisch-allegorisch, gestaltet. Es handelt sich also um das bemerkenswerte Faktum, dass eine geographische Region bei einem und demselben Schriftsteller durch ganz unterschiedliche kulturelle Techniken repräsentiert wird: Sie wird in der literarischen Fiktion zum Alptraum, zum Ort des Selbstverlustes und der Willenslosigkeit stilisiert, während sie aus der Perspektive des Naturforschers den wissenschaftlichen Verfahren des Messens, Klassifizierens, Abbildens und Beschreibens unterworfen wird. Dass die wissenschaftliche Feldarbeit letztlich wieder verschriftlicht und narrativ, d. h. in einer Reisebeschreibung, vermittelt wird, zeigt freilich auch, wie unscharf die Grenzen zwischen dem literarischen und wissenschaftlichen Diskurs gelegentlich gezogen sind.
Um diese Spannungen und Korrespondenzen zwischen der literarischen und wissenschaftlichen Darstellung der nördlichen Region bei Chamisso geht es in einem längeren Aufsatz, der im Zusammenhang mit dem vom Norwegischen Forschungsrat finanzierten Forschungsprojekt Arktiske Diskurser an der Universität Tromsø entstanden ist. Die Studie wird unter dem Titel De to kulturer. Det litterære og det vitenskapelige blikk på nordområdene hos Adelbert von Chamisso in dem Sammelband Reiser og ekspedisjoner i det litterære arktis (Trondheim: Tapir Akademisk Forlag 2011) erscheinen.

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