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Montag, 11. Oktober 2010

Schlemihl in Uniform

1911 wunderte sich Thomas Mann noch, wie der "Ausländer" Chamisso mit seinen Gedichten im "Erdreich" der deutschen Dichtung überhaupt Wurzeln schlagen konnte. Drei Jahre später schlugen Deutsche und Franzosen dann nur noch mit Giftgas und Granaten aufeinander ein. Und als der Maler und Grafiker Ernst Ludwig Kirchner zu Weihnachten 1915 eine Mappe mit Farbholzschnitten zu "Peter Schlemihls wundersamer Geschichte" an seine Freunde verteilte, ließ er vorsichtigerweise den Namen des Autors auf dem Titelblatt weg: zu französisch. Jetzt gibt es in der Reclam Bibliothek eine preisgünstige und schön gemachte Ausgabe von "Peter Schlemihls wundersamer Geschichte", die Chamisso 1813 im brandenburgischen Kunersdorf mitten im Krieg gegen das napoleonische Frankreich geschrieben hat, mit den sechs (mit dem Titelblatt sieben) Illustrationen von Kirchner. Die Rolle des grauen Mannes, der dem armen Schlucker Peter Schlemihl seinen Schatten abkauft, übernehmen hier die "uniformierten Teufel", die Kirchner dazu gebracht hatten, sich "unfreiwillig-freiwillig" als Soldat in den Krieg schicken zu lassen. Der Schweizer Literaturkritiker und Schriftsteller Peter von Matt hat dazu eine kleine Studie über den Außenseiter als sozialen Typus beigesteuert und die Kunsthistorikerin Anita Beloubek-Hammer den Außenseiter Kirchner aus seinen Blättern feinfühlig porträtiert.

1 Kommentar:

  1. Ja, eine schöne Ausgabe, aber glücklich bin ich damit nicht. Ich zitiere aus meiner Besprechung im "literaturblatt baden-württemberg", Nr. 3/2010: "In der für ihr elegantes Streifendesign von der Stiftung Buchkunst ausgezeichneten „Reclam Bibliothek“ ist jetzt eine Leseausgabe von „Peter Schlemihls wundersamer Geschichte“ mit einem klugen Nachwort von Peter von Matt erschienen; ... Diese Edition ermuntert dazu, das Märchen ähnlich radikal wie Kirchner zu lesen, als Zeugnis tiefer Verzweiflung. Das Buch hat einen einzigen Schönheitsfehler: Das Reihenformat der „Reclam Bibliothek“ ist für eine befriedigende Reproduktion der Originalblätter viel zu klein. Auf weniger als ein Zehntel der Fläche reduziert, verlieren die expressionistischen Farbholzschnitte ihre Kraft. In einer neuen Kirchner-Monografie von Lucius Grisebach sind sie etwas größer nachgedruckt und machen gleich eine stärkeren Eindruck. Der DuMont Verlag hatte zudem angekündigt, Chamissos Erzählung und die Farbholzschnitte in diesem Frühjahr ebenfalls als Buch herausbringen, diesen Plan aber kurzfristig aufgegeben. Möglicherweise wegen der zu erwartenden Konkurrenz durch die Reclam-Ausgabe? Schade drum: Wer Chamissos Text und Kirchners Kunst gleichermaßen schätzt, muss auch in Zukunft zwei Bücher nebeneinander legen." Dazu die bibliografische Angabe: Lucius Grisebach: Ernst Ludwig Kirchner. DuMont Verlag 2009, 320 Seiten, 39,95 Euro.

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