Dieses Forum dient dem Austausch über Projekte, die sich mit dem Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso (1781-1838) beschäftigen. Wenn Sie Chamisso-Projekte vorstellen möchten, Unterstützung suchen oder Veranstaltungen ankündigen wollen, können Sie das auch als nicht registrierter Nutzer tun: Schicken Sie bitte eine Mail mit Ihren Informationen und Fragen an den Webmaster Michael Bienert.

Freitag, 26. Februar 2016

Monsieur Pille

Ce n´est pas
Monsieur Pille,
c´est moi.
Von Peter Schlemihl - Mein Freund Chamisso hat nicht damit gerechnet, dass seine Papiere und Briefe irgendwann von der ganzen Welt würden gelesen werden können. Nun steht fast alles, was er hinterlassen hat, im Netz. Und worüber wird diskutiert? Ob es sich bei seinem zwei Jahrzehnte nach seiner Weltreise auf Basis älterer Notizen und Briefe verfassten literarischen Reisebericht um ein "Hybrid" handelt oder doch eher um eine Derridasche "Pfropfung". Da lacht der Botaniker! Ich traute meinen Ohren nicht, als ich mich heute unerkannt unter die Hörer des Chamissokongresses in der Berliner Staatsbibliothek mischte. Weitab derartiger "Forschungsdiskussionen" (= Kämpfe um begriffliche Hegemonie) bewegte sich der Beitrag meines lieben Monsieur Pille aus Paris. Er kennt den Chamisso-Nachlass seit Jahrzehnten und durchdringt den Wust der Überlieferung mit dem Auge eines wahrhaft gebildeten Menschen. "Das Offenbaren des Eigenen durch den fremden Blick" lautete der Titel seines Vortrags, und was das heißt, illustrierte Pille an einer Episode von Chamissos Weltreise: Eingeborene von Pazifikinseln besichtigen neugierig das russische Forschungsschiff "Rurik" und turnen fröhlich in der Takelage herum, trauen sich aber kaum in den dunklen, engen und düstern Schiffsbauch hinein. In diesem Zusammenhang beschreibt Chamisso geschlossene Räume als "Mördergrube"- für Pille ein Beleg für die Abneigung Chamissos gegen die Enge des Biedermeiers. Chamissos berühmtes Gedicht über das väterliche Schloss Boncourt liest der Pariser Literaturwissenschaftler nicht als Dokument des Verlusts, sondern lenkt den Blick auf die Befreiung, die für den Dichter in der Zerstörung des Familienschlosses gelegen habe. Pille streift zumindest den politischen Autor Chamisso, und er muss den Begriff "Flüchtlingskrise" gar nicht in den Mund nehmen, um die Anschlussfähigkeit von Chamissos Werk an die drängendsten Probleme der Gegenwart zu beweisen. Dem Liebhaber der deutschen Romantik genügt ein Seitenverweis auf Hölderlins Gedicht "Brot und Wein": "So komm, dass wir das Offene schauen, / Dass ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist."

1 Kommentar:

  1. Auch der Deutschlandfunk hat über die Chamisso-Konferenz berichtet, das Interview mit Jutta Weber, der Mitorganisatorin und Vorsitzenden der Chamisso-Gesellschaft, lesen Sie hier: http://www.deutschlandfunk.de/chamisso-konferenz-in-berlin-von-der-besonderen-neugier-der.691.de.html?dram:article_id=346736

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