Dr. Walter Hettche hat die Briefe zur Verfügung gestellt und transkribiert, sie werden - siehe unten - im Chamisso-Forum erstmals veröffentlicht - vielen Dank! Weitere Materialien zur Geschichte der Denkmalsetzung werden vom Webmaster gerne entgegen genommen und hier publiziert.
Berlin, den 3t.
November 1881.
An
Herrn Professor Dr. Scherer, hier.
Euer
Hochwohlgeboren
beehren sich die Unterzeichneten ganz ergebenst einzuladen,
behufs Constitution des Comité’s für das Chamisso-Denkmal am 16t.
ds. Mts. Nachmittags 7 Uhr im Rathhause Zimmer No. 47 gütigst
anwesend sein zu wollen.
In hochachtungsvoller
Ergebenheit
Ferd. Schmidt,
Lehrer
v Forckenbeck HBohm
Oberbürgermeister Schulr.
u. Stadt-
verordneter
Henri
de Nève
Stadt
Verordneter
2. Max von Forckenbeck an Wilhelm Scherer, Berlin, 21. November 1881
Euer
Hochwohlgeboren
benachrichtige ich ganz ergebenst,
daß
die Versammlung zur Constituirung eines Chamisso-Comité’s
nicht auf den 18t sondern auf den 16t
d. Mts. anberaumt war. An diesem Tage hat die Versammlung auch wirklich
stattgefunden. Der Mittheilung des Portiers muß daher ein Irrthum zu Grunde
liegen.
Namens
des constituirten Comité’s spreche ich Eurer Hochwohlgeboren die ganz ergebene
und dringende Bitte aus,
dieses
bedauerlichen und unverschuldeten Mißverständnisses halber dem Comité, welches
Sie als Mitglied betrachtet, Ihre Mitwirkung nicht versagen zu wollen.
Mit vorzüglicher
Hochachtung
Eurer Hochwohlgeboren
ergebenster
v Forckenbeck
Ober-Bürgermeister
Berlin,
den 21t November 1881.
3. Ferdinand Schmidt an Wilhelm Scherer, Berlin, 11. Dezember 1881
Berlin, den 11t.
December. 1881.
Hochwohlgeborener
Herr,
Hochgeehrter
Herr Professor!
Es lag in meiner Absicht, Ihnen nicht allein den Empfang des
Aufrufes, der sich in den Händen des Herrn Ober-Bürgermeisters befindet, zu
bestätigen und Ihnen zu schreiben, wie sehr Herr Bohm und ich von diesem
kleinen Kunstwerke entzückt sind; ich wollte Ihnen zugleich mittheilen können,
daß zufolge mündlicher, resp. schriftlicher Verständigung alle Mitglieder des
provisorischen Comités sich sehr gern damit einverstanden erklärt haben, daß
die von Ihnen nachträglich vorgeschlagenen Herren Prof. Herm. Grimm u. Jul.
Schmidt zur Cooptation gelangen. Herr Ober-Bürgermeister v. Forkenbeck hatte
mich mit dieser Nachfrage beauftragt, deren Resultat ja nicht zweifelhaft war,
die aber der Herr Vorsitzende unseres Comités der guten Form wegen nicht
unterlassen zu sehen wünschte. Eine mehrtägige Krankheit ist mir in der
schnellen Erledigung dieser Angelegenheit u. Berichterstattung an Sie,
hochgeehrter Herr, hinderlich gewesen; ich bitte, die Verspätung in Anbetracht
der Umstände gütigst entschuldigen zu wollen. Die genannten Herren werden in
nächster Zeit schon gebeten werden, dem Comité beizutreten und in der
bevorstehenden Sitzung zu erscheinen. In der ersten Sitzung ist beschlossen
worden, daß, sobald der Aufruf fertig gestellt sein würde, eine zweite Sitzung
anberaumt werden sollte. Dieser Zeitpunkt dürfte wider Erwarten dadurch etwas
hinausgeschoben werden, daß Herr v. Forkenbeck theils durch gehäufte
Amtsgeschäfte, besonders aber auch durch seine Thätigkeit als
Reichstags-Abgeordneter gegenwärtig ungewöhnlich in Anspruch genommen ist.
In hochachtungsvoller
Ergebenheit
Ferd. Schmidt.
Für alle, denen nicht unmittelbar geläufig ist, wer Wilhelm Scherer war: Er lebte von 1841 bis 1886 und war ein österreichisch-deutscher Germanist, der ihn Wien, ab 1872 in Straßburg und zuletzt ab 1877 in Berlin auf einem vom preußischen Kultusministerium eigens für ihn eingerichteten Lehrstuhl (den ersten dieser Art) für „neuere deutsche Literatur“ lehrte. Er war hauptsächlich Mittelalter- und Goethe-Forscher, seine Methoden einer empirisch-kulturgeschichtlichen Literaturwissenschaft wurden wegen ihrer Orientierung an den Naturwissenschaften auch „positivistisch“ genannt. Er hinterließ nach seinem tragischen frühen Tod eine fragmentarische Poetik, die posthum aus Vorlesungsskizzen zusammengestellt wurde. Welche Rolle er in Verbindung mit dem Chamisso-Denkmal hätte spielen wollen und können, müsste uns von Scherer-Spezialisten näher erläutert werden.
AntwortenLöschenPeter Sühring, Berlin
Bernd Ballmann hat in der British Library Wilhelm Scherers "Geschichte der Deutschen Litteratur" (Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1883. - 815 Seiten. >> BL London 11853.C.19) konsultiert und auf Seite 679 gefunden:
AntwortenLöschen"Ein tadelloses Kunstwerk von tiefem Gehalt ist dagegen* Chamissos 'Peter Schlemihl', worin gleichfalls ein volksthümlicher Aberglaube das Hauptmotiv hergab, nemlich [sic] die Meinung, daß man seinen Schatten verlieren könne und daß der Teufel ihn an sich nehme, wenn er über den Menschen selbst nicht Gewalt habe. Die Erzählung verdient ihren Weltruhm. Der Dichter hat den Helden zu einem symbolischen Selbstportrait gemacht: Schlemihl heißt ein Pechvogel; und sein eigenes geringes Talent für die Welt, das ihn zur Einsamkeit, zu dem Verkehr mit der Natur und den ganz natürlichen Menschen hinzog, hat Chamisso diesem Pechvogel geliehen. Man braucht das aber gar nicht zu wissen, um der deutlichen und glatten, ungesuchten und scheinbar kunstlosen, überall echt episch vorwärtsführenden Erzählung mit Interesse zu folgen und irgend etwas Symbolisches darin zu ahnen, sei es auch nur, daß man sich an die Thatsache erinnert fühle, wie oft Reichthümer mit unreinen Händen erworben werden, wie leicht das 'Nichts der Ehre' dabei verloren gehe und den Menschen aus der Gesellschaft ausstoße."
[* Im Vergleich mit Fouqués 'Undine']
Weiterhin eine Anmerkung auf Seite 775:
Der Schatten ist, genau gesagt, in Chamissos Intention die Fähigkeit zu scheinen.
Dr. Mirko Nottscheidt aus Hamburg ergänzt in einer Mail an den Webmaster:
AntwortenLöschenDer Fund ist m. E. besonders wertvoll durch den dritten Brief, der nicht nur zeigt, dass und wie Scherer in dieser Angelegenheit aktiv wurde, sondern en passant einen Hinweis auf einen unbekannten Text von ihm bietet: nämlich den Aufruf zur Konstituierung des Comités, der sich weder in Scherers Nachlass befindet noch in der Scherer-Bibliographie verzeichnet ist, die Konrad Burdach 1893 zur Ausgabe der "Kleinen Schriften" erstellt hat. Dass es sich dabei nicht um irgendein trockenes Aktenstück gehandelt haben kann, deutet Schmidts Formulierung ("kleines Kunstwerk") an. Es wäre interessant, diesen Aufruf zu ermitteln.
Wie ernst Scherer die Angelegenheit nahm, geht aus der Tatsache hervor, dass auf seine Initiative hin zwei weitere prominente Persönlichkeiten des literarischen Lebens in das provisorische Chamisso-Comité aufgenommen wurden: der Kunsthistoriker und Schriftsteller Herman Grimm (1828-1901), Sohn Wilhelm Grimms, und der Publizist Julian Schmidt (1818-1886), langjähriger Redakteur der literarisch-politischen Wochenschrift "Die Grenzboten" und selbst Verfasser mehrerer populärer Literaturgeschichten. Mit beiden war Scherer seit den frühen 1860er Jahren, als er in Berlin studierte, eng befreundet, und mit beiden hat er später bei vielen ähnlichen Gelegenheiten zusammengearbeitet.
Im Familien-Nachlass Grimm im Hessischen Hauptstaatsarchiv Marburg befinden sich laut dem gedruckten Verzeichnis unter der Signatur Br 4804-4805 zwei Briefe von "F. Schmidt" aus Berlin (22. Jan. 1897 u. 19.5.1897) an Herman Grimm. Leider ist dem Verzeichnis (Werner Moritz: Verzeichnis des Nachlaßbestandes Grimm im Hessischen Staatsarchiv Marburg, Marburg 1988) kein Hinweis zu dem Chamisso-Aufruf zu entnehmen, den ja auch Grimm besessen haben muss. Die beiden Briefe beziehen sich vielleicht auf eine andere Denkmalangelegenheit: Ferdinand Schmidt veröffentlichte 1896 eine "Festschrift zur Feier der Enthüllung des Nationaldenkmals der Brüder Grimm in ihrer Vaterstadt Hanau am 18. Oktober 1896" (Hanau, [1896]; 1 Expl. im Nachl. Grimm, Sign. Dr 394). Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass der Nachlass ein Exemplar des "Deutschen Musenalmanachs für das Jahr 1839" von Chamisso aus dem Besitz der Brüder Grimm enthält (Sign.: L 222).
Im Nachlass Scherer, zu dessen Berliner Teilen im Akademiearchiv und der Staatsbibliothek Kollegen und ich letztes Jahr ein Verzeichnis veröffentlicht haben, gibt es meines Wissens keine ergänzen Materialien zu Chamisso oder Scherers Kontakt mit Ferdinand Schmidt. Die Briefe, es sind ja Originale, müssen ursprünglich auch im Nachlass gewesen sein. Vmtl. wurden sie dem Chamisso-Komitée überlassen oder Ferdinand Schmidt.
Für jeden Hinweis zu dem Chamisso-Aufruf aus Scherers Feder wäre ich sehr verbunden.
Mit den besten Wünschen aus Hamburg --
Ihr Mirko Nottscheid
Dr. Mirko Nottscheid
Universität Hamburg
Institut für Germanistik II
Von-Melle-Park 6/IV
20146 Hamburg