Dieses Forum dient dem Austausch über Projekte, die sich mit dem Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso (1781-1838) beschäftigen. Wenn Sie Chamisso-Projekte vorstellen möchten, Unterstützung suchen oder Veranstaltungen ankündigen wollen, können Sie das auch als nicht registrierter Nutzer tun: Schicken Sie bitte eine Mail mit Ihren Informationen und Fragen an den Webmaster Michael Bienert.

Donnerstag, 10. Januar 2013

Drei unbekannte Briefe zur Entstehungsgeschichte des Chamisso-Denkmals in Berlin


1888 wurde das Chamisso-Denkmal am Monbijouplatz eingeweiht, über das in diesem Forum wiederholt Beiträge erschienen und Informationen ausgetauscht wurden. Der Münchner Germanist Walter Hettche hat vor Jahren in einem Potsdamer Antiquariat ein Konvolut von Briefen an den Fachkollegen Wilhelm  Scherer (siehe Kommentare Peter Sühring, Bernd Ballmann und Mirko Nottscheidt unten) erworben. Drei dieser Briefe beschäftigen sich mit den Vorbereitungen für die Errichtung des Chamisso-Denkmals in Berlin, zwei sind vom damaligen Oberbürgermeister Forckenbeck mit unterzeichnet. Der Schriftsteller Ferdinand Schmidt gehörte offenbar zu den Initatoren des Denkmalkomitees. Die Aufrufe, ein solches Komitee zu gründen, stammen aus dem Jahr 1881, was den Rückschluss zulässt, dass Denkmalsetzungen damals ähnlich langwierige Diskussionen provozierten wie heute. 

Dr. Walter Hettche hat die Briefe zur Verfügung gestellt und transkribiert, sie werden - siehe unten - im Chamisso-Forum erstmals veröffentlicht - vielen Dank! Weitere Materialien zur Geschichte der Denkmalsetzung werden vom Webmaster gerne entgegen genommen und hier publiziert. 




1. Ferdinand Schmidt an Wilhelm Scherer, Berlin, 3. November 1881


Berlin, den 3t. November 1881.



An

Herrn Professor Dr. Scherer, hier.


            Euer Hochwohlgeboren

beehren sich die Unterzeichneten ganz ergebenst einzuladen, behufs Constitution des Comité’s für das Chamisso-Denkmal am 16t. ds. Mts. Nachmittags 7 Uhr im Rathhause Zimmer No. 47 gütigst anwesend sein zu wollen.

In hochachtungsvoller Ergebenheit
Ferd. Schmidt,
Lehrer


v Forckenbeck                                                                        HBohm
Oberbürgermeister                                                            Schulr. u. Stadt-
                                                                                                verordneter

                                                                                                Henri de Nève
                                                                                                Stadt Verordneter



2. Max von Forckenbeck an Wilhelm Scherer, Berlin, 21. November 1881


            Euer Hochwohlgeboren

benachrichtige ich ganz ergebenst,
daß die Versammlung zur Constituirung eines Chamisso-Comité’s
nicht auf den 18t sondern auf den 16t d. Mts. anberaumt war. An diesem Tage hat die Versammlung auch wirklich stattgefunden. Der Mittheilung des Portiers muß daher ein Irrthum zu Grunde liegen.
            Namens des constituirten Comité’s spreche ich Eurer Hochwohlgeboren die ganz ergebene und dringende Bitte aus,
       dieses bedauerlichen und unverschuldeten Mißverständnisses halber dem Comité, welches Sie als Mitglied betrachtet, Ihre Mitwirkung nicht versagen zu wollen.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Eurer Hochwohlgeboren

ergebenster
v Forckenbeck
Ober-Bürgermeister
            Berlin,
den 21t November 1881.



3. Ferdinand Schmidt an Wilhelm Scherer, Berlin, 11. Dezember 1881

Berlin, den 11t. December. 1881.

             Hochwohlgeborener Herr,
            Hochgeehrter Herr Professor!

Es lag in meiner Absicht, Ihnen nicht allein den Empfang des Aufrufes, der sich in den Händen des Herrn Ober-Bürgermeisters befindet, zu bestätigen und Ihnen zu schreiben, wie sehr Herr Bohm und ich von diesem kleinen Kunstwerke entzückt sind; ich wollte Ihnen zugleich mittheilen können, daß zufolge mündlicher, resp. schriftlicher Verständigung alle Mitglieder des provisorischen Comités sich sehr gern damit einverstanden erklärt haben, daß die von Ihnen nachträglich vorgeschlagenen Herren Prof. Herm. Grimm u. Jul. Schmidt zur Cooptation gelangen. Herr Ober-Bürgermeister v. Forkenbeck hatte mich mit dieser Nachfrage beauftragt, deren Resultat ja nicht zweifelhaft war, die aber der Herr Vorsitzende unseres Comités der guten Form wegen nicht unterlassen zu sehen wünschte. Eine mehrtägige Krankheit ist mir in der schnellen Erledigung dieser Angelegenheit u. Berichterstattung an Sie, hochgeehrter Herr, hinderlich gewesen; ich bitte, die Verspätung in Anbetracht der Umstände gütigst entschuldigen zu wollen. Die genannten Herren werden in nächster Zeit schon gebeten werden, dem Comité beizutreten und in der bevorstehenden Sitzung zu erscheinen. In der ersten Sitzung ist beschlossen worden, daß, sobald der Aufruf fertig gestellt sein würde, eine zweite Sitzung anberaumt werden sollte. Dieser Zeitpunkt dürfte wider Erwarten dadurch etwas hinausgeschoben werden, daß Herr v. Forkenbeck theils durch gehäufte Amtsgeschäfte, besonders aber auch durch seine Thätigkeit als Reichstags-Abgeordneter gegenwärtig ungewöhnlich in Anspruch genommen ist.

In hochachtungsvoller Ergebenheit
Ferd. Schmidt.

3 Kommentare:

  1. Für alle, denen nicht unmittelbar geläufig ist, wer Wilhelm Scherer war: Er lebte von 1841 bis 1886 und war ein österreichisch-deutscher Germanist, der ihn Wien, ab 1872 in Straßburg und zuletzt ab 1877 in Berlin auf einem vom preußischen Kultusministerium eigens für ihn eingerichteten Lehrstuhl (den ersten dieser Art) für „neuere deutsche Literatur“ lehrte. Er war hauptsächlich Mittelalter- und Goethe-Forscher, seine Methoden einer empirisch-kulturgeschichtlichen Literaturwissenschaft wurden wegen ihrer Orientierung an den Naturwissenschaften auch „positivistisch“ genannt. Er hinterließ nach seinem tragischen frühen Tod eine fragmentarische Poetik, die posthum aus Vorlesungsskizzen zusammengestellt wurde. Welche Rolle er in Verbindung mit dem Chamisso-Denkmal hätte spielen wollen und können, müsste uns von Scherer-Spezialisten näher erläutert werden.
    Peter Sühring, Berlin

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  2. Bernd Ballmann hat in der British Library Wilhelm Scherers "Geschichte der Deutschen Litteratur" (Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1883. - 815 Seiten. >> BL London 11853.C.19) konsultiert und auf Seite 679 gefunden:

    "Ein tadelloses Kunstwerk von tiefem Gehalt ist dagegen* Chamissos 'Peter Schlemihl', worin gleichfalls ein volksthümlicher Aberglaube das Hauptmotiv hergab, nemlich [sic] die Meinung, daß man seinen Schatten verlieren könne und daß der Teufel ihn an sich nehme, wenn er über den Menschen selbst nicht Gewalt habe. Die Erzählung verdient ihren Weltruhm. Der Dichter hat den Helden zu einem symbolischen Selbstportrait gemacht: Schlemihl heißt ein Pechvogel; und sein eigenes geringes Talent für die Welt, das ihn zur Einsamkeit, zu dem Verkehr mit der Natur und den ganz natürlichen Menschen hinzog, hat Chamisso diesem Pechvogel geliehen. Man braucht das aber gar nicht zu wissen, um der deutlichen und glatten, ungesuchten und scheinbar kunstlosen, überall echt episch vorwärtsführenden Erzählung mit Interesse zu folgen und irgend etwas Symbolisches darin zu ahnen, sei es auch nur, daß man sich an die Thatsache erinnert fühle, wie oft Reichthümer mit unreinen Händen erworben werden, wie leicht das 'Nichts der Ehre' dabei verloren gehe und den Menschen aus der Gesellschaft ausstoße."

    [* Im Vergleich mit Fouqués 'Undine']

    Weiterhin eine Anmerkung auf Seite 775:

    Der Schatten ist, genau gesagt, in Chamissos Intention die Fähigkeit zu scheinen.

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  3. Dr. Mirko Nottscheidt aus Hamburg ergänzt in einer Mail an den Webmaster:

    Der Fund ist m. E. besonders wertvoll durch den dritten Brief, der nicht nur zeigt, dass und wie Scherer in dieser Angelegenheit aktiv wurde, sondern en passant einen Hinweis auf einen unbekannten Text von ihm bietet: nämlich den Aufruf zur Konstituierung des Comités, der sich weder in Scherers Nachlass befindet noch in der Scherer-Bibliographie verzeichnet ist, die Konrad Burdach 1893 zur Ausgabe der "Kleinen Schriften" erstellt hat. Dass es sich dabei nicht um irgendein trockenes Aktenstück gehandelt haben kann, deutet Schmidts Formulierung ("kleines Kunstwerk") an. Es wäre interessant, diesen Aufruf zu ermitteln.

    Wie ernst Scherer die Angelegenheit nahm, geht aus der Tatsache hervor, dass auf seine Initiative hin zwei weitere prominente Persönlichkeiten des literarischen Lebens in das provisorische Chamisso-Comité aufgenommen wurden: der Kunsthistoriker und Schriftsteller Herman Grimm (1828-1901), Sohn Wilhelm Grimms, und der Publizist Julian Schmidt (1818-1886), langjähriger Redakteur der literarisch-politischen Wochenschrift "Die Grenzboten" und selbst Verfasser mehrerer populärer Literaturgeschichten. Mit beiden war Scherer seit den frühen 1860er Jahren, als er in Berlin studierte, eng befreundet, und mit beiden hat er später bei vielen ähnlichen Gelegenheiten zusammengearbeitet.

    Im Familien-Nachlass Grimm im Hessischen Hauptstaatsarchiv Marburg befinden sich laut dem gedruckten Verzeichnis unter der Signatur Br 4804-4805 zwei Briefe von "F. Schmidt" aus Berlin (22. Jan. 1897 u. 19.5.1897) an Herman Grimm. Leider ist dem Verzeichnis (Werner Moritz: Verzeichnis des Nachlaßbestandes Grimm im Hessischen Staatsarchiv Marburg, Marburg 1988) kein Hinweis zu dem Chamisso-Aufruf zu entnehmen, den ja auch Grimm besessen haben muss. Die beiden Briefe beziehen sich vielleicht auf eine andere Denkmalangelegenheit: Ferdinand Schmidt veröffentlichte 1896 eine "Festschrift zur Feier der Enthüllung des Nationaldenkmals der Brüder Grimm in ihrer Vaterstadt Hanau am 18. Oktober 1896" (Hanau, [1896]; 1 Expl. im Nachl. Grimm, Sign. Dr 394). Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass der Nachlass ein Exemplar des "Deutschen Musenalmanachs für das Jahr 1839" von Chamisso aus dem Besitz der Brüder Grimm enthält (Sign.: L 222).

    Im Nachlass Scherer, zu dessen Berliner Teilen im Akademiearchiv und der Staatsbibliothek Kollegen und ich letztes Jahr ein Verzeichnis veröffentlicht haben, gibt es meines Wissens keine ergänzen Materialien zu Chamisso oder Scherers Kontakt mit Ferdinand Schmidt. Die Briefe, es sind ja Originale, müssen ursprünglich auch im Nachlass gewesen sein. Vmtl. wurden sie dem Chamisso-Komitée überlassen oder Ferdinand Schmidt.

    Für jeden Hinweis zu dem Chamisso-Aufruf aus Scherers Feder wäre ich sehr verbunden.

    Mit den besten Wünschen aus Hamburg --

    Ihr Mirko Nottscheid

    Dr. Mirko Nottscheid
    Universität Hamburg
    Institut für Germanistik II
    Von-Melle-Park 6/IV
    20146 Hamburg

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