Nachdem sich die Gründung der weltweit ersten Chamisso-Gesellschaft - ausgerechnet in dem brandenburgischen Provinznest Kunersdorf - allmählich herumgesprochen hatte, wunderten sich manche, wieso es sie eigentlich noch nicht gab. Ja warum? Wie es aussieht, ist der gebürtige Franzose Adelbert von Chamisso nach zweihundert Jahren immernoch unterwegs zwischen Frankreich und Deutschland, ewiger Emigrant und Außenseiter der deutschen Literatur. Während die Frankfurter an der Oder ihrem berühmtesten Sohn Heinrich von Kleist schon 1969 ein respektables Literaturmuseum spendierten und im Kleist-Jahr 2011 in der Kleist-Stadt Kleist-Festspiele stattfinden werden, hat Chamisso keine Gedenkstätte, kein Archiv, nicht mal mehr ein vorzeigbares Geburts-oder Wohnhaus, obwohl der langhaarige Star der Berliner Literaturszene mit "Peter Schlemihls wundersamer Geschichte" 1814 quasi über Nacht weltbekannt und ein heimlicher Klassiker geworden war. Seit 1985 gibt es immerhin den Chamisso-Preis der Robert-Bosch-Stiftung, was einigermaßen einleuchtet, weil er für Schriftsteller eingerichtet wurde, die deutsch schreiben, obwohl sie oder ihre Eltern und Großeltern in einer anderen Sprache aufgewachsen sind. Praktischerweise werden ihre Bücher oft als Chamisso-Literatur bezeichnet, also auf gut deutsch: Emigrantenliteratur. Man kann sich darüber streiten, ob damit schon wieder eine Art Ausgrenzung verbunden ist, als gebe es neben der deutschen Nationalliteratur á la Goethe, Kleist oder Grass noch eine zweite, deutschsprachige Literatur. Für 15 Millionen Migranten in Deutschland ist der Wechsel zwischen Sprachen und Kulturen längst Alltagsgewohnheit. Aber ein vereintes Europa der Sprachen und Kulturen ist noch Vision, und wir sollten weniger auf administrative und politische Wege "von oben" hoffen und lieber eigene suchen. Den weltreisenden, naturforschenden, polyglotten Chamisso kann man überall entdecken, vor der eigenen Haustür, hier im blog, in der Chamisso-Gesellschaft oder in Kunersdorf.
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