Von Peter Sühring (Berlin). Wahrscheinlich hat noch kaum einer der Chamisso-Freunde davon Notiz genommen: Der kürzlich verstorbene Schriftsteller Dieter Kühn hat in seinem letzten Buch (Frühjahr 2015) u.a. auch sein fragmentarisches Chamisso-Projekt vorgestellt. Das Buch heißt „Die siebte Woge“ (nicht nach der alles vernichtenden „neunten Woge“!) und sammelt wie in einem Logbuch die entscheidenden Eckdaten und Erläuterungen zu sieben Projekten seiner schriftstellerischen Laufbahn, hinter die er „nicht erleichtert den Schlusspunkt setzen konnte“ oder vielmehr musste.
Wer sich fragte, wie Kühn früher einmal auf die Idee gekommen sein mochte, in seiner fiktiven Biografie des in Lemberg wirkenden Mozart-Sohns Franz-Xaver diesen während eines Berlin-Aufenthalts mit Chamisso zusammenzubringen, um mit ihm über ein Opernlibretto mit dem Titel „Die Überfahrt“ zu verhandeln, der wird nun mit der tiefer sitzenden Faszination und Sympathie, die Kühn mit Chamisso verband, vertraut gemacht. Im Kapitel Eins der siebten Woge mit dem Titel „Dichter und Botaniker“ beginnt Kühn seine Begegnung mit Chamisso in Berlin im Kreuzberg-Museum beim Besteigen eines dort aufgestellten Nachbaus der Rurik und sitzt dort in Chamissos Kajüte. Von dieser Erfahrung ausgehend einwickelt er den Plan, die „beiden Sprachwelten“ Chamissos, die des prosaischen und lyrischen Dichters sowie die des Naturwissenschaftlers zusammenzuführen, „wie Chamisso selbst das leider nie versucht hat“.
Es kommen auf den Seiten 13‑44 dann brisante Gedichtexperimente zustande. Eine Engführung von Poesie, Reiseerfahrung und Pflanzenwelt bewirkt Entwürfe zu einem lehrhaften Erzählgedicht, die in der von Chamisso bevorzugten Versform der Terzine abgefasst sind. Es werden aber auch vorerst unbeantwortbare Fragen hervorgerufen, die uns am wenigsten der nun tote Schriftsteller Dieter Kühn wird beantworten können. Auf halbem Wege steckengeblieben, verkündet er nur: „Unter seiner Schädeldecke: beide Welten! Dichter Chamisso und Naturforscher Chamisso in Personalunion. Wegbereiter, Wegbegleiter. Ich muss ihn an meiner Seite sehen, sonst komme ich nicht weit.“ Und darum endet das (un)mögliche Projekt auch virtuell wieder im Nachbau des dreijährigen Ambientes von Chamisso im Berliner Kreuzberg-Museum in der Adalbert-Straße, nahe „Kotti“.
Eine Leseprobe aus Volker Kühns Buch mit Chamisso-Bezug finden Sie hier.
Zum Beitrag von Peter Sühring über "Ein Mozart aus Galizien" geht es hier.
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